Salzburger Fenster, 6. März 2002
Eine Million Jahre Strahlung
Was tun mit vier Millionen Tonnen radioaktivem Uranschlamm? Die kleine tschechische Ortschaft Mydlovary hat ein Problem.
Es raschelt im Gestrüpp. Der Messtrupp hat Meister Lampe aufgeschreckt. Der Hase schlägt einen schnellen Haken und verschwindet im hohen Gras. "Die vielen Wildtiere hier sind ein Problem", sagt
Thomas Neff von der Salzburger Plattform gegen Atomgefahren (PLAGE), "sie graben unzählige Höhlen und schaffen so immer wieder radioaktives Material an die Oberfläche. Das wird dann vom Wind über
das Land verbreitet."
Wir sind auf "KI", einer Uranschlammdeponie bei der kleinen tschechischen Ortschaft Mydlovary. KI ist 27 m hoch, 600 m lang und 400 m breit. Unter uns liegen vier Millionen Tonnen radioaktiver
Uranschlamm, erklären die tschechischen Experten von der Deponieverwaltung Diamo. Erstmals hat die PLAGE von der Direktion des Betriebes die offizielle Genehmigung bekommen, hier
Radioaktivitätsmessungen durchzuführen. Thomas Neff führt die Messungen durch. Ein tschechischer Messtrupp misst parallel dazu. Getarnt als eifrig, die Messdaten protokollierender Assistent ist
Ihr Berichterstatter ebenfalls mit dabei. (Liebe Diamo-Direktion, verzeihen Sie bitte den kleinen Schwindel, aber Schwejk hätte es auch so versucht.) Ganz offiziell durfte auch US-Anwalt Ed Fagan
den strahlenden Hügel besteigen.
3.400 Impulse pro Minute
Schon am Tor schlagen die Geigerzähler aus. 100 Impulse pro Minute. "Normal" wären 20 bis 40. Wir gehen Richtung Deponie. 160 Impulse. Am Fuß der riesigen Aufschüttung sind es 450. Leere
Patronenhülsen liegen herum. In dem Revier wird offensichtlich fest gejagt. "So kommt die Radioaktivität in die menschliche Nahrungskette", kritisiert Thomas Neff. Er misst die Radioaktivität am
Ausgang eines Fuchs- oder Hasenbaus. 3400 Impulse pro Minute. Auf dem breiten Rücken der Deponie zeigt der Geigerzähler konstant 2000 Impulse.
Die Deponie sei auf einer wasserundurchlässigen Lehmschicht errichtet worden und das ablaufende Regenwasser werde erfasst und geklärt, versichern die tschechischen Experten. Thomas Neff ist hier
skeptisch. "Niemand kann sagen, ob und wie die Lehmschicht unter der riesigen Deponie tatsächlich gegen das Grundwasser dichthält."
Das Abdeckmaterial ist eine Mischung aus Kalk und Asche. Darauf wächst ein schilfähnliches hohes Gras. Sichtbar ist die seitliche Befestigung des Hügels mit Steinplatten. Sie soll ein seitliches
Ausbrechen der Deponie verhindern, so wie es bei einem Unfall im Jahr 1965 geschehen ist. Für mehr Sanierungsmaßnahmen reicht bislang das Geld nicht.
Radon tritt aus
Das ständige Ausströmen des radioaktiven Edelgases Radon aus dem Areal wird von den anwesenden tschechischen Fachleuten nicht bestritten. "Radon verursacht Lungenkrebs, das ist wissenschaftlich
unbestritten", sagt der Salzburger Strahlenphysiker Franz Daschil. "Die radioaktiven Substanzen können vom Wind viele Kilometer weit weg transportiert werden."
KI ist mit einem Zaun gesichert. Der Hügel ist die am stärksten strahlende Deponie. Frei zugänglich sind dagegen zahlreiche Gruben und Teiche in der Umgebung, bis zum Rand gefüllt mit
Uranschlamm. Zum kleineren Teil sind sie mit Erde abgedeckt.
Hier in Mydlovary, 15 km nordöstlich von Budweis war bis zum Jahr 1991 eine Uranerzaufbereitungsanlage für tschechisches Uran in Betrieb. Exportiert wurde der tödliche Rohstoff, der für
Atomwaffen wie für Kernkraftwerke benötigt wird, in die damalige Sowjetunion. In Tschechien wird noch Uran abgebaut und verarbeitet. Diese Anlage ist aber still gelegt. Riesige Flächen mit
radioaktiv verseuchtem Uranschlamm sind zurückgeblieben. Die Kosten für eine ordnungsgemäße Sanierung wären gigantisch und würden Tschechien überfordern.
Wie lange muss das Material teuer überwacht werden? Franz Daschil: "Eine Million Jahre."