Freitag, 28. Januar 2002

 

von Heinrich Breidenbach

Die hohe Schule des Bückens

SPÖ und ÖVP haben Österreichs Institutionen und Eliten politisch angreifbar gemacht. Die Mehrzahl der Verantwortungsträger in Österreich sind durch den illegitimen Einfluss von SPÖ und ÖVP das geworden, was sie sind. Dieser Knüppel wird nun von Rechtspopulisten bei Bedarf aus dem Sack geholt.


Warum nur steigt Jörg Haider in verbalen Gefechten so oft, zuletzt in der ORF-Sendung „Betrifft“ zum Thema „Rechtsstaat in Gefahr“ als Sieger aus? Die periodischen Bauchschmerzen vor dem Fernsehschirm werden gerne mit dem besonderen demagogischen Talent und der effizienten verbalen Brutalität Jörg Haiders erklärt. „Wenn andere Fußball spielen, spielt Haider Rugby“, wird Heide Schmidt im Standard vom 17. Jänner aus einer Podiumsdiskussion zum „Verfall der Kommunikationskultur“ zitiert. Kluge Antworten auf obige Frage wurden dort gegeben. Eine fehlt.
Es gibt in Österreich wirklich einen Mangel an Menschen, die rechtspopulistischer Demagogie glaubwürdig Paroli bieten können. Und dieser Mangel ist kein Zufall, sondern zwangsläufige Folge einer jahrzehntelangen Politik gegen unabhängige Menschen und unabhängiges Denken.
Die Mehrzahl der Verantwortungsträger in Österreich sind durch den illegitimen Einfluss von SPÖ und ÖVP das geworden, was sie sind. Schuldirektoren, Polizeipräsidenten, Bundesheergeneräle, Botschafter, Manager in der staatsnahen Wirtschaft, Sektionschefs, Genossenschafts-Direktoren, Universitäts-Professoren, Hof- und Senatsräte, ORF-Intendanten, Museumsdirektoren, Primarärzte und eben auch Verfassungsrichter.
Fast die gesamte Elite des Landes hat sich mindestens einmal gebeugt. Sie hat sich zum persönlichen Vorteil an eine illegitime Realität angepasst und diese ausgenutzt.
Das hat Folgen. Diese Menschen sind in ihrer Glaubwürdigkeit beschädigt. Sie sind angreifbar, abhängig und verpflichtet. Es mangelt ihnen an argumentativer, persönlich erarbeiteter politischer Substanz. Unterordner brauchen das nicht. In öffentlichen kontroversen Diskussionen brechen sie daher auch oft kläglich ein.


Der strukturelle Skandal Österreichs
Die Parteibuchwirtschaft, die vorsätzliche Einebnung aller Grenzen zwischen Parteien, Staat und Gesellschaft ist der strukturelle Skandal der zweiten Republik. Er wird auch nicht kleiner, weil er Alltag geworden ist. Die Republik ist kein Feldweg, auf den Gewohnheitsrechte geltend gemacht werden können. Mit stiernackigem Zynismus haben die Funktionäre jede aufgeflammte Diskussion, jeden begründeten Verdacht und jeden hundertprozentigen Nachweis illegitimer parteipolitischer Einflussnahme ausgesessen. Ein paar eingelernte Wortrituale und fertig. Man wird doch wohl noch eine Gesinnung haben dürfen, deklamieren ausgerechnet jene, die Gesinnungsgemeinschaften fortgesetzt als Machtapparate missbrauchen.
Jörg Haider und seine FPÖ haben bei ihrem Aufstieg von dem aufgestauten Unmut, dem Misstrauen und dem persönlichen Hass, die sich um diesen permanenten rot-schwarzen Machtmissbrauch entwickelt haben, massiv profitiert. Jetzt sind sie an der Macht und haben von SPÖ und ÖVP eine treffliche Keule hinterlassen bekommen. Der Knüppel kann beliebig aus dem Sack geholt werden, wenn sich ihnen jemand in den Weg stellt. Zum Beispiel, wenn ihnen ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof nicht passt. Mehr zweisprachige Ortstafeln im gemischtsprachigen Südkärnten, das geht ins Mark der deutschnational geschürten Kärntner Grenzlandparanoia. Der Kärntner Landeshauptmann will die Umsetzung des Erkenntnis verhindern und dem Verfassungsgerichtshof „die Flügel stutzen“.


Realität wirkt
Ein Hauptargument seines Angriffs trifft die Realität und ist daher auch wirksam: „Parteipolitisch besetzte Richter.“ Das stimmt. Die Richter des Verfassungsgerichtshofes sind im rot-schwarzen Proporz bestellt worden. Ein fortgesetzter Skandal, ein eindeutiger Machtmissbrauch. Diese berechtigte Kritik kann von Haider nun als Munition für die Verweigerung von zweisprachigen Ortstafeln in gemischtsprachigen Gemeinden missbraucht werden. Es ist leider kein Treppenwitz. Die Kärntner Slowenen müssen dafür büßen, dass SPÖ und ÖVP höchste Instanzen der Republik angreifbar gemacht haben.
In Situationen derart brachialer Polit-Durchmärsche fehlen Verantwortungsträger, die ohne Parteipolitik in ihre Positionen gekommen sind. Glaubwürdige Intellektuelle und politische Bürger, die sich unabhängig von verfilzten Bedeutungszuweisungskarussellen einen Namen gemacht haben. Die vielstrapazierte „Zivilgesellschaft“ eben. Es gibt sie, aber sie ist im gesellschaftlichen und politischen Leben Österreichs nur ein schwacher Faktor.


Kein Unrechtsbewusstsein
Diese Schwäche begründet einen Reflex, der ebenfalls dazu beiträgt, Haider und die Seinen oft zum Sieger polarisierender politischer Inszenierungen zu machen. Der aktuelle Streit um den Verfassungsgerichtshof ist auch dafür ein Beispiel. Kaum, dass Haider den Verfassungsgerichtshof und seinen Präsidenten angriff, setzte der bekannte Schulterschluss ein: Das „bessere“ Österreich rückte zusammen und machte empört auf staatstragend. Notwendiges, Richtiges und verlogenes Gesülze vermischten sich. Die wenigen bisherigen Kritiker der parteipolitischen Bestellungspraxis tauchten im ersten Schreck unter oder klangen gleich wie Schüssel oder Gusenbauer. Für viele Bürger blieb dann einmal mehr Jörg Haider übrig, der unbequeme Wahrheiten und berechtigte Kritik offen ausspricht.
Ist Kritik an der alten rot-schwarzen Parteibuchwirtschaft verschüttete Milch, auch wenn die Folgen aktuell sind? Vier mal Nein. Die böse Tat setzt sich in Ländern und Gemeinden fort. Der Fluch der bösen Tat auch. In gut österreichischer Logik herrscht viel Verständnis dafür, dass sich die FPÖ nun auch am öffentlichen Postenkuchen bedient. Die schlechte alte große Koalition kann auch wieder kommen. Und Unrechtsbewusstsein gibt es immer noch keines.