Freitag, 12. Januar 2007

von Heinrich Breidenbach

Extra weiche Öko-Nuss

Das rot-schwarze Umweltprogramm und der weise Prophet Ali. Einiges wäre mit dem vorliegenden Koalitionsprogramm in Sachen Umwelt- und Klimaschutz möglich. Weniges ist wahrscheinlich.


Dem Propheten Ali, einem Vetter und treuen Gefährten Mohammeds wird eine weise Aussage zugeschrieben. „Der Koran ist eine Schrift zwischen zwei Buchdeckeln. Er spricht nicht. Es sind die Menschen die sprechen.“
Sollte das bei modernen Regierungsprogrammen so ganz anders sein?
Die167 Seiten des Übereinkommens zwischen ÖVP und SPÖ sind Leitlinie, Politprosa, Absichtserklärung und Überschriftensammlung. Wirklich gesprochen wird dann im politischen Alltag. Vom Parlament, den Ministern, den Ländern, den Sozialpartnern, den Konzernen, den Lobbyisten, der EU, den supranationalen Institutionen.
Ach ja, auch die Natur könnte in den nächsten Jahren eine noch deutlichere und irgendwann auch nicht mehr zu überhörende Sprache sprechen. Der wärmste Herbst seit 1.300 Jahren, ein verrückter Frühling im Jänner und meine verstaubten Tourenski im Keller sind zuwenig. Einzelereignisse zählen nicht.


Weiche Nuss
Das Thema Umwelt- und Klimaschutz hat bei diesen Koalitionsverhandlungen eine Karriere als extrem „weiche Nuss“ genommen. SPÖ und ÖVP haben sich blind verstanden. Ohne große Worte, ohne vorherige Festlegungen, ohne kontroversielle Debatte und ohne öffentliche Aufregungen. Kein Wort stand davon in den „10 Projekten für Österreich“ der Sozialdemokraten vom 10. Oktober. Kein Wort in der „Gemeinsamen Erklärung“ vom 17. November. Kein Wort in den „Grundsätzen unserer Politik für Österreich“ der ÖVP.
Aber dann setzte man sich in „sehr guter Atmosphäre“ am 30. November des Vorjahres zusammen und flugs war noch am selben Tag das Programm fertig. Die Verhandler konnten sich hinfort wieder den zahlreichen „harten Nüssen“ und „schweren Brocken“ zuwenden.
Jetzt sehen wir das Ergebnis. Nicht als Schrift zwischen zwei Deckeln, sondern als eilig aus dem Netz herunter geladene pdf-Datei. Aber davon konnte der Prophet Ali noch nichts wissen.
Rot und Schwarz haben sich, geht es nach dem Geschriebenen, einiges vorgenommen. So soll etwa ein mit 500 Millionen Euro dotierter „Energie- und Klimaschutzfonds“ eingerichtet werden. Viele Häuser sollen energetisch saniert, der Anteil erneuerbarer Energien soll erhöht, den Treibstoffen mehr Biodiesel oder Ethanol beigemengt werden, usw. Die Koalition lässt sich zum Teil sogar auf konkrete Zahlen ein. Zum Beispiel: „Verdoppelung des Biomasseeinsatzes bis 2010“, oder: „Umstellung von mindestens 400.000 Haushalten auf erneuerbare Energieträger bis 2020, davon 100.000 bis zum Jahr 2010“.
Wissen, Praxis, Technik und Wirtschaftskraft rund um Nachhaltigkeit, Energieeffizienz und Klimaschutz könnten damit erhalten und ein wenig weiter entwickelt werden. Das ist gut so, weil irgendwann vielleicht doch Natur oder Ressourcenknappheit so deutlich sprechen werden, dass die Wählerinnen und Wähler den wirklich großen Durchbruch zu den erneuerbaren Energien verlangen. Dann stehen wenigstens die Technologien praktisch erprobt zur Verfügung.
Aber das Gedruckte wird nicht sprechen. Rot und Schwarz werden sprechen. Und sie haben sich dafür jede Menge Spielraum offen gelassen. Nicht einmal dort ist das Gedruckte eindeutig, wo es nach Fortschritt aussieht. Etwa, wenn der 500 Millionen Euro schwere Energie- und Klimaschutzfonds „gemeinsam mit der österreichischen Energiewirtschaft geschaffen“ werden soll. Das ist ja bekanntlich eine ökologisch äußerst sensible Versammlung. Oder, wenn keinerlei konkrete Ziele für Ökostrom aus Wind und Sonne formuliert werden. Als „Erneuerbare Energie“ geht schließlich auch der Strom aus zusätzlichen großen Wasserkraftwerken durch. Wir hören die Strombosse schon sprechen. Auch das vieldeutige Wort „aufkommensneutral“ findet sich allzu häufig vor den konkreten Zielformulierungen. Und was ist, wenn die „aufkommensneutrale Steigerung der erneuerbaren Energien“ doch ein bisschen mehr kostet? Sie haben sich viel Spielraum für Interpretationen offen gelassen.


„Ökologische Aspekte“
Und sonst? Bei den wirklich großen Brocken geht es weiter wie gehabt. Die Koalition will mehr Platz für den Individual- und Flugverkehr! 4,5 Milliarden Euro für den Straßenbau werden auch dann nicht weniger, wenn sechs Milliarden für Bahnprojekte vorgesehen sind. Der „Ausbau leistungsfähiger Flughäfen“ und die „Beseitigung der Infrastrukturengpässe, sowohl am Boden wie auch in der Luft“ können beim besten Willen nicht „als Plan zur Bekämpfung der Klimakatastrophe“ (Josef Pröll) durchgehen.
Die Ankündigung einer „großen Steuerreform in dieser Legislaturperiode“ nennt große Ziele: „Wachstum“, „Beschäftigung“, „verbesserte Rahmenbedingungen für Investoren, Unternehmen und deren Beschäftigte“, usw. Das klingt bekannt. Ein wirklich großes Ziel fehlt. Nämlich, dass Steuern einen Beitrag dazu leisten sollen, dass sich im Preis aller Produkte und Dienstleistungen die in ihnen enthaltene Umweltzerstörung und Klimabelastung niederschlägt. Statt dessen ein Nebensatz. Das Steuer- und Abgabensystem solle auch „ökologische Aspekte mit einbeziehen“. Warum fällt einem bei derart elegantem wording spontan der weise Prophet Ali ein?
Es wird immer wahrscheinlicher, dass die Prognosen der Klimaforscher über eine vom Menschen mit verursachte globale Erwärmung richtig sind. Selbst wenn nur die Hälfte davon stimmt, und nur die Hälfte der in einer britischen Regierungsstudie errechneten wirtschaftlichen Folgekosten von weltweit bis zu unvorstellbaren 5,5 Billionen Euro realistisch sind, ist die Klimaveränderung die größte aktuelle politische Herausforderung für jede Regierung und die Staatengemeinschaft.
Das Regierungsprogramm stellt sich dieser Herausforderung als Andeutung.