Salzburger Fenster, Meinung 10-2013


Wahrheits-Apostel sind gefährlich

Was wir Mitte März als wohltuend warmen Tag erleben, ist bei genau gleicher Temperatur im Juli ein saukalter. Beide Male sind die Empfindungen „wahr“. Die Wahrheit ist eben abhängig vom Standpunkt, dem jeweiligen Wissen und den Gegebenheiten. Das Streben nach der Wahrheit ist immer ein Prozess, schließt Irrtümer ein und stellt sich immer wieder neu.  Alle großen und kleinen totalitären Systeme behaupten, im Besitz der „Wahrheit“ zu sein und wollen diese den Menschen verordnen.  „Prawda“ hieß etwa die Zeitung der sowjetischen Kommunisten, zu Deutsch „Wahrheit“. Selten ist in einem Blatt so viel gelogen worden. Es ist kennzeichnend für Sekten und ihre Gurus, dass sie absolute Wahrheiten verkünden und für ihre Jünger, dass sie kritiklos daran glauben. Im Namen von religiösen „Wahrheiten“ wurden und werden furchtbare Verbrechen begangen.
Zivilisierte Politik hat einen Umgang mit ihren jeweiligen „Wahrheiten“ gefunden. Eine grundlegende Idee der Demokratie ist, dass über den Vollzug subjektiver „Wahrheiten“  letztlich die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Alle können glauben, dass sie die richtigen Rezepte haben, sie können davon überzeugt sein, sogar hundertprozentig, aber entscheiden, wie weit diese zum Zug kommen, tun andere. Das ist gut so, selbst wenn auch die Wähler irren können und irren.
Durch Menschenrechte und Aufklärung gezähmte Religionen haben sich in langwierigen Prozessen ohne Verzicht auf den eigenen Wahrheitsanspruch zumindest dazu durchgerungen, dass es neben der eigenen Wahrheit auch die Wahrheit der anderen gibt, die zu respektieren, oder wenigstens nicht gewaltsam zu bekämpfen ist. Damit können alle gut leben.

„Wahrheit, Transparenz…“
Warum muss man das überhaupt noch sagen? Weil es ein Jammer ist, wohin in Österreich wieder einmal politischer Protest und berechtigte Unzufriedenheit steuern. „Wahrheit, Transparenz, Fairness“ ist der zentrale Slogan des „Teams Stronach“.  Er ist so dümmlich, primitiv und selbstgerecht wie die Auftritte des Milliardärs selbst. Der Spruch passt zu einer Sekte mit einem Guru und seiner Gefolgschaft. Harmlos ist das nicht! Sobald Leute mit dieser Denkungsart Macht bekommen, agieren sie totalitär. In jedem modernen, aufgeklärten politischen Diskurs müssten 99 Prozent der Bevölkerung solche Ansagen spontan als disqualifizierend erkennen. Sie müssten wissen, dass bei solchen Typen immer die Enttäuschung auf die Euphorie folgt. Von einer demokratischen Erneuerung gar nicht zu reden.
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Der Sekretär und sein Pate. In der politischen Wissenschaft nennt man es – meistens auf eine Plage Afrikas bezogen – das „big man syndrome“.  Es geht um einen autokratischen Politikertyp, der zum Beweis seiner Macht viele Dinge braucht. Eines davon ist die Versorgung von Mitgliedern seiner Familie und seines Stammes mit Privilegien, Geschenken, Lizenzen, Posten, usw. Der Gedanke dahinter ist folgender: Wer nicht einmal für seine Nächsten sorgen kann, und sei es auf Kosten der Allgemeinheit, der kann nur ein einflussloser und schwacher Wappler sein.
Bei uns drücken sich solche fatalen, alten Reflexe im Verhältnis von Politikern zu ihren Sekretären aus. Das Symbol dahinter ist: „Seht her, ich habe die Macht für die zu sorgen, die mir brav gedient haben!“ Dies auf Kosten der Allgemeinheit und auf Kosten anderer. Die Beispiele für diesen Machtmissbrauch sind Legion. Jetzt ist einmal ein besonders dreister derartiger Versuch des ehemaligen Finanzressortchefs David Brenner, der seinen Sekretär noch schnell lukrativ versorgen wollte, schief gegangen. Das ist wenigstens etwas. Aber das System und die Denkweise bleiben.
h.breidenbach@salzburger-fenster.at
Herausgehobenes Zitat:

„Es ist ein Jammer ist, wohin in Österreich wieder einmal politischer Protest und berechtigte Unzufriedenheit steuern.“