Meinung


SALZBURGER FENSTER 21/2012


von Heinrich Breidenbach

Gut, dass es den Wallraff gibt!

Dem deutschen Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff gelingt es immer wieder, alltägliche Verhältnisse unter denen Niedrigverdiener zu leben - oder zu leiden - haben, zum Thema einer breiten öffentlichen Debatte zu machen. Das ist wichtig, weil die Sorgen der normalen Leute in der aufgeregten Medienwirklichkeit viel zu kurz kommen.
Wallraffs letzter Clou war, getarnt Zusteller eines internationalen Paketdienst-Konzerns zu begleiten und das Material als Film bei RTL und gedruckt in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu veröffentlichen. Es geht um Scheinselbständigkeit als System, um Stundenlöhne von drei bis fünf Euro, Abhängigkeiten, Aussichtslosigkeit, Arbeiten bis zur Erschöpfung, Menschenverachtung und um die fetten Gewinne, die internationale Paketdienste mit diesen schäbigen Praktiken machen. In Österreich sind die Verhältnisse in dieser Branche nicht besser.
Wirklich neu ist das alles nicht. Aber Wallraff ist so nah und so authentisch an den Menschen und ihren Problemen dran, dass die Reportage ihre Wirkung tut. Die „Dementis“ des betroffenen Konzerns - GLS (General Logistic Systems) – sind schwache, halbseidene Pflichtübungen. Die Herrschaften sind ertappt und wissen das.
Im konkreten Fall der Paketzustellung war der Absturz in den Hungerlohnsektor und in prekäre Arbeitsverhältnisse nicht nur vorherzusehen, sondern gewollt und geplant. Die europaweit forcierte „Liberalisierung“ der Paket- und Postdienste ohne begleitende Maßnahmen, wie Branchen-Kollektivverträge und Verbot von scheinselbständigen Subunternehmern, hat zwangsweise und logisch in diese Situation geführt. Der „Wettbewerb“ kann unter diesen Rahmenbedingungen vor allem über niedrige Personalkosten geführt werden. Das wurde dann auch so gemacht.
Verantwortlich dafür sind die zwanghaften „Liberalisierer“ in der EU-Kommission, die diese Maßnahmen seit 1994 Schritt für Schritt vorbereiteten. Noch viel mehr verantwortlich sind alle europäischen Regierungen, die den zahlreichen dafür notwendigen Verordnungen und Richtlinien bereitwillig zugestimmt haben, ohne die notwendigen Begleitmaßnahmen einzufordern. Gemeint sind auch alle österreichischen Bundesregierungen seit 1994.

Niedriglöhne fördern Krisen
Niedriglöhne und prekäre Arbeitsverhältnisse werden auch unter dem Aspekt der gegenwärtigen Finanz- und Budgetkrisen zu wenig beachtet. Die gigantischen Folgekosten des Raubbaus an Arbeitnehmern oder scheinselbständigen „Unternehmern“ für Krankheit, Frühpensionen, soziale Hilfen, etc. muss die Allgemeinheit tragen. Das belastet die Budgets.
Zudem führt der ständig sinkende Anteil der Löhne am Gesamteinkommen der Gesellschaft dazu, dass sich „Oben“ immer mehr Kapital ansammelt. Dieses Geld drängt an den Boden- und Finanzmärkten nach „Veranlagung“ und „Rendite“, und ist damit mitschuldig an explodierenden Immobilienpreisen und den Instabilitäten auf den Finanzmärkten. Auch darüber wird zu wenig geredet. Vor allem wird viel zu wenig dagegen getan.

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Vertragsraumordnung! Es ist ein Zauberwort der Raumordnung. Besitzer von Grünland sollen mit der Umwidmung ihrer Grundstücke in Bauland, und dem damit verbundenen Wertzuwachs, vertraglich mit den Gemeinden vereinbaren, dass – wenn geeignet – zumindest Teile dieser Grundstücke für den sozialen Wohnbau verwendet werden. Das Salzburger Raumordnungsgesetz sieht das nur als „Kann-Bestimmung“ vor. Das Planungsressort der Stadt will nun trotzdem einen neuen Anlauf für mehr solche Verträge unternehmen. Bravo!

h.breidenbach@salzburger-fenster.at