Meinung


SALZBURGER FENSTER 40/2012


von Heinrich Breidenbach

Nur Bettler dürfen nicht schwindeln

Zum Beispiel Autokonzerne. Sie machen systematisch geschönte Angaben über den Spritverbrauch ihrer Fahrzeuge. Die Differenz zum wirklichen Verbrauch kostet im Lauf eines Autolebens bei den heutigen Spritpreisen ein kleines Vermögen. Alle wissen das. Selten regt sich wer darüber auf. Autokonzerne dürfen das.
Anlageberater auch. Millionen Menschen weltweit sind auf ihre falschen Versprechungen hineingefallen. Pech gehabt! Lebensmittel-Verpackungen gaukeln dem Konsumenten gerne eine heile bäuerliche, ländliche Welt vor, während in Wahrheit Produkte aus Massentierhaltung und Agro-Industrie drinnen sind.
Reiseprospekte versprechen immer wieder ein Urlaubsglück, das sich in der Wirklichkeit als Horror in der Sardinendose entpuppt. Verkaufsfahrten sind immer mit Vorsicht zu genießen. Jede rechtliche Grauzone findet den Gauner, der sie nutzt. Die Tachos von Gebrauchtautos sind massenhaft manipuliert. Handwerker halten versprochene Termine nicht ein. Die freudige Nachricht „Sie haben gewonnen“ leitet fast immer einen versuchten Betrug ein.
Unzählige Pillen, Präparate, Wunder-, Heil- und Nahrungsergänzungsmittel machen nur die sie produzierenden Firmen kerngesund, finanziell. Scharlatane, Handaufleger, Sternedeuter und die gesamte Mystik-Gang zocken beinhart Legionen braver Anhänger und Sinnsucher ab.
Auch an der eigenen Erscheinung wird retuschiert, operiert, gefärbt, nachgeholfen, vertuscht, überspachtelt und getäuscht was das Zeug hält.
Sollen wir jetzt noch mit der Glücksspielindustrie, der Politik oder den Medien anfangen? Genug. Es biegen sich die Balken, so viel wird täglich allerorten zum eigenen Vorteil geschwindelt und gelogen. Allzu oft ist sogar die Schädigung anderer Menschen legal oder wird nicht geahndet. Wer darauf hineinfällt, ist selbst schuld, heißt es. Oder: Wer sooo dumm ist, dem kann man wirklich nicht mehr helfen. Ich sehe das nicht so. Es sind oft wirklich die nettesten Menschen, die auf Gauner hineinfallen. Weil gerade sehr nette und ein bisschen naive Menschen sich so viel Schlechtigkeit gar nicht vorstellen können und wollen.

Sensationelle Fotostrecke
Sie wissen das eh alles? Das muss Ihnen niemand erzählen. Sie sind schließlich nicht naiv. Sehr gut! Weil dann verstehen bestimmt auch Sie die aggressive Hysterie um einen Bettler nicht, der sich für seine „Arbeit“ ein bemitleidenswertes Aussehen zulegt, und beim entsprechenden Maskenbilden und „Umziehen“ heimlich fotografiert wurde. Die sensationelle Fotostrecke fand letzte Woche sogar mediale Verbreitung. Die Salzbürger Erregung darob war mächtig groß. Weil eines muss deutlich gesagt werden: Was alle dürfen, dürfen die Schwächsten noch lange nicht! Nach Berichten wurde der Mann am nächsten Tag sogar gewaltsam auf der Straße attackiert.
Bestimmt von einem durch und durch ehrlichen Mitbürger.

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Demokratur der Business-Men? Warum soll einer, der mutig wo hinunterspringen kann, auch gleich etwas von Politik verstehen? Das wäre zu viel verlangt. Die politischen Vorstellungen des „Stratos-Helden“ Felix Baumgartner lösen trotzdem Beklemmung aus. Nicht weil einer so daher redet, sondern weil sie weit verbreiteten Einstellungen entsprechen.
Im selben Maß wie alles Öffentliche, alles Politische, alles Ausgleichende und Regelnde systematisch schlecht gemacht wird, werden der private geschäftliche Erfolg und seine Träger unkritisch glorifiziert. Reiche Geschäftsleute werden zu politischen Hoffnungsträgern stilisiert. Sie müssten halt nur ordentlich „durchgreifen“ könnten. Das ist grundfalsch. Aber so denken viele.

h.breidenbach@salzburger-fenster.at